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KGV und Shiller-KGV – was die Kennzahlen über Aktien aussagen

Von Markus Neumann

Klassisches KGV und Shiller-KGV richtig interpretieren

Das klassische Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) und das sogenannte Shiller-KGV, das der Wirtschaftsnobelpreisträger Robert Shiller entwickelte, sollen Anlegern anzeigen, wie Aktien und einzelne Märkte bewertet sind. Danach sind US-Aktien gerade sehr teuer. Sollten Investoren jetzt aussteigen?

Bewertungskennzahlen wie das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) sollen Anlegern dabei helfen, unterbewertete Aktien zu erkennen, die künftig überdurchschnittlich Renditen liefern – frei nach der alten Kaufmannsregel, dass der Gewinn im Einkauf liege. Doch wenn die Börsen tatsächlich nach einer so einfachen Mechanik funktionieren würden, wären alle Anleger so reich wie Warren Buffett. Insofern stellt sich die Frage, welchen Nutzen des KGV eigentlich bringt?

Ebenso hinterfragt werden sollte das sogenannte Shiller-KGV, benannt nach dem Wirtschaftsnobelpreisträger Robert Shiller, der diese Kennzahl entwickelte. Das Shiller-KGV wird häufig für die Bewertung ganzer Aktienmärkte herangezogen. Aus der Bewertung lassen sich Rückschlüsse auf die durchschnittlichen Marktrenditen in den kommenden zehn Jahren ziehen.

Deswegen wird das Shiller-KGV von manchen professionellen Vermögensverwaltern beispielsweise bei der strategischen Asset Allocation berücksichtigt. Hochbewerte Märkte werden im Portfolio niedriger gewichtet – und umgekehrt. Aber auch das Shiller-KGV ist nicht verlässlich, wie Untersuchungen und auch die jüngere Vergangenheit zeigen.

Trotz aller Unzulänglichkeiten sind das klassische KGV und das Shiller-KGV ein Anhaltspunkt für Anleger, die sich ein Bild davon machen wollen, ob bestimmte Aktien oder Aktienmärkte gerade teuer oder billig sind. Denn der absolute Preis einer Aktie oder der Zählerstand eines Aktienindex sagen nichts über deren Bewertung aus. Die Börsenkurse können beispielsweise stark steigen während Aktien gleichzeitig billiger werden.

Die Bewertung erschließt sich erst, wenn Aktienpreise oder Zählerstände von Indizes ins Verhältnis zu anderen Größen gesetzt werden, etwa dem Gewinn pro Aktie. Aus diesen Relationen lässt sich dann im Vergleich zu historischen Durchschnitten eine Tendenz ablesen.

Das klassische Kurs-Gewinn-Verhältnis

Das klassische KGV, oft auch Price-Earnings-Ratio oder kurz P/E genannt, ist das Vielfache des Gewinns pro Aktie, das Anleger für eine Aktie bezahlen müssen. Je größer das KGV, desto teurer die Aktie. Anders ausgedrückt: Das KGV zeigt an, wie viele Jahres es dauert, bis die summierten Gewinne pro Aktie dem aktuellen Kaufpreis entsprechen, unter der – natürlich völlig unrealistischen – Annahme, dass sich die Höhe der Gewinne über die Jahre nicht verändert.

Das Vielfache einer Aktie lässt sich leicht berechnen. In der einfachsten Version wird der aktuelle Kurs durch den Gewinn pro Aktie der vergangenen zwölf Monate geteilt. Dieses KGV wird auf manchen Finanzwebsites als „Trailing P/E“ bezeichnet.

Statt des Gewinns der vergangenen vier Quartale verwenden einige Datenportale den prognostizierten Gewinn für das kommende Jahr. Ist das der Fall, wird das KGV meist mit dem Zusatz „estimated“ (=geschätzt) versehen.

Berechnungsbeispiel: Kostet eine Aktie 100 Euro und der prognostizierte Gewinn für die nächsten zwölf Monate liegt bei 10 Euro pro Aktie, beträgt das geschätzte KGV 10.

Das KGV steigt, wenn die Aktienkurse schneller steigen als die Unternehmensgewinne. Oder wenn die Unternehmensgewinne schneller fallen als die Aktienkurse.

Gewinnprognosen sind oft falsch

So weit, so einfach. Doch es gibt eine Reihe von Problemen. Beispielsweise weiß niemand genau, ob das auf Gewinnprognosen basierende KGV tatsächlich stimmt. Verlässlich kann es nur auf Basis der vergangenen Gewinne kalkuliert werden.

Anleger wollen aber nicht wissen, ob eine Aktie teuer WAR, sondern ob sie zum Kaufzeitpunkt teuer IST. Entscheidend dafür ist der Gewinn, den das Unternehmen in der Zukunft erwirtschaften wird. Denn die aktuellen Börsenkurse reflektieren bereits die Gewinnerwartungen der Anleger. Sie werden fortlaufend „eingepreist“, wie es häufig heißt.

Analysten schätzen die künftigen Gewinne. Der Durchschnitt ihrer Prognosen wird häufig für die Berechnung des KGV verwendet. Nur leider können diese Vorhersagen weit daneben liegen.

Interpretation des KGV

Wie sollten Anleger das KGV interpretieren?  Zunächst ist wichtig, das aktuelle KGV einer Aktie oder das eines Index immer im Verhältnis zum eigenen historischen Durchschnitt zu betrachten. Erst dann erschließt sich die Bewertung. Liegt das aktuelle KGV unter dem historischen Durchschnitt, der quasi als die faire Bewertung betrachtet wird, gilt eine Aktie als günstig.

Diese Vorgehensweise hat allerdings Tücken. Denn es gibt keine allgemeingültige Regel, die besagt, wie weit Anleger bei der Berechnung des historischen KGV-Durchschnitts zurück in die Vergangenheit gehen sollten. Manche Fachleute meinen, nicht mehr als 20 Jahre, weil sich beispielsweise Vorschriften für die Gewinnermittlung und auch die Marktbedingungen ändern. Andere vertreten die Ansicht, die gesamte Zeitreihe, die zur Verfügung steht, ergebe die beste Messlatte.

Ziemlich sinnlos ist jedenfalls der Vergleich des KGVs von Unternehmen aus verschiedenen Branchen. Es gibt Sektoren, die immer niedriger oder höher bewertet sind als andere. Technologieaktien etwa haben meist ein sehr hohes KGV. Öl-Konzerne dagegen ein niedriges. Insofern ist nur ein Vergleich innerhalb der Branche sinnvoll. Als Messlatte kann beispielsweise das durchschnittliche KGV der Branche herangezogen und mit der Bewertung eines einzelnen Unternehmens aus dem Sektor verglichen werden.

Auch auf Länderebene ist ein direkter Vergleich problematisch. Denn wie bei verschiedenen Branchen unterscheiden sich die langfristigen Bewertungen von einzelnen Ländermärkten zum Teil deutlich. Ein Indiz auf eine Unter- oder Überbewertung liefert deshalb eher der Vergleich des aktuellen KGVs mit dem eigenen historischen Durchschnitt.

KGV ist für Kursprognosen ungeeignet

Mehr als ein Indiz für die Bewertung ist das klassische KGV aber auch nicht. Entscheidend ist vielmehr die Frage, warum ein Unternehmen billig oder teuer ist. Das lässt sich nur erkennen, wenn man eine Reihe weiterer fundamentaler Kennzahlen wie etwa die Eigenkapitalrendite heranzieht und gegeneinander abwägt.

Denn ein niedriges KGV kann durchaus gerechtfertigt sein, wenn die Zukunftsperspektiven eines Unternehmens schlecht sind. Anderseits kommt es regelmäßig vor, dass die Kurse von manchen Unternehmen auf niedrigem Niveau notieren, weil sie gerade bei Anlegern nicht Mode sind, obwohl sie ordentliche Gewinne erwirtschaften. Das führt dann zu Unterbewertungen, die sich in einem sinkenden KGV niederschlagen.

Wie hoch der faire Wert, der sogenannte Fair Value, einer Aktie ist, kann aber letztlich niemand mit Sicherheit sagen. Es handelt sich um ein theoretisches Konzept, das in den unterschiedlichsten Spielarten von Börsenprofis verwendet wird. Ebenso steht in den Sternen, ob der Kurs eine unterbewertete Aktie jemals wieder auf den vermeintlich fairen Wert steigen wird.

Statistisch ist jedenfalls kein Zusammenhang zwischen KGV und künftiger Kursentwicklung nachweisbar – selbst dann nicht, wenn die künftigen Gewinne bekannt wären. Das zeigt eine Studie der Fondsgesellschaft StarCapital. Demnach ist das klassische KGV für Aktienprognosen gänzlich ungeeignet.

Kein statistischer Zusammenhang zwischen KGV und künftiger Kursentwicklung messbar

Das klassische KGV ist für Kursprognosen nicht geeignet

Quelle: StarCapital, Stand: Dezember 2019.

Könnte man mit Hilfe des KGV und anderen Kennzahlen zweifelsfrei feststellen, von welchen Unternehmen die Kurse in Zukunft überdurchschnittlich ansteigen werden, wäre es spielend einfach mit der gezielten Auswahl von Aktien eine höhere Rendite als der Marktdurchschnitt zu erwirtschaften. Das ist aber nicht der Fall, wie zahlreiche Studien und die unterdurchschnittliche Leistung von Aktienfondsmanagern belegen. Vielmehr ist das sogenannte Stock Picking eine sehr diffizile Angelegenheit, die meist nicht funktioniert.

KGV von Robert Shiller glättet zyklische Verzerrungen

Es gibt aber noch einen weiteren Grund, warum das klassische KGV problematisch ist: Die kurzfristige Betrachtungsweise über 12 Monate führt zu Verzerrungen wegen zyklischer Schwankungen. Im Aufschwung, wenn die Gewinne hoch sind, erscheinen Aktien billig, im Abschwung, wenn die Profite dahinschmelzen, dagegen teuer.

Um solche Verzerrungen zu glätten, hat der Ökonom und Wirtschaftsnobelpreisträger Robert Shiller ein alternatives Kurs-Gewinn-Verhältnis entwickelt. Das sogenannte Shiller-KGV, auch Cyclically Adjusted Price-to-Earnings Ratio (CAPE) genannt, basiert auf dem Durchschnitt der inflationsbereinigten Unternehmensgewinne der zurückliegenden zehn Jahre.

Der Unterschied zum klassischen KGV zeigte sich beispielsweise während der Finanzkrise im Frühjahr 2009. Damals signalisierte das KGV auf Basis der Gewinne des zurückliegenden Jahres einen historischen Höchstwert und damit eine extreme Überbewertung des amerikanischen Aktienmarktes, weil die Gewinne der Unternehmen heftig eingebrochen waren. Das Shiller-KGV zeigte dagegen eine relativ niedrige Bewertung des Marktes an. Tatsächlich wäre es damals eine gute Entscheidung gewesen, US-Aktien zu kaufen.

Entwicklung des Shiller-KGVs für den amerikanischen Aktienmarkt seit 1900

Shiller-KGV: Entwicklung seit 1900

Quellen: Robert Shiller, Fairvalue, Stand: Februar 2024.

Die Prognosegüte des Shiller-KGV ist alles andere als perfekt

Viele Investoren, die einen sogenannten Value-Ansatz verfolgen, nutzen das Shiller-KGV, um unterbewertete Aktienmärkte auszumachen. Mit dem Kauf preisgünstiger Aktien ist die Hoffnung auf überdurchschnittliche Kursgewinne verknüpft. Tatsächlich waren die künftigen Renditen am amerikanischen Aktienmarkt im Durchschnitt hoch, wenn das Shiller-KGV zum Kaufzeitpunkt niedrig war. Umgekehrt waren die nachfolgenden Renditen im Schnitt niedrig, wenn das KGV nach Shiller beim Aktienkauf hoch war.

Im Durchschnitt heißt: Es gab auch viele Fälle, in denen auf hohe Bewertungen überdurchschnittliche Renditen und auf niedrige Bewertungen unterdurchschnittliche Renditen folgten. Historisch betrachtet erklärt das Shiller-KGV unter dem Strich nur 40 Prozent der Renditeschwankungen am US-Aktienmarkt. Andere Faktoren haben demnach einen höheren Einfluss auf die Höhe der Kursgewinne und -verluste.

Die Schwäche des Cape-Ratio zeigte sich besonders in den vergangenen drei Jahrzehnten. Seit 1990 waren US-Titel fast durchgehend überbewertet und das zum Teil extrem. Dennoch war die reale Rendite in diesem Zeitraum mehr als doppelt so hoch verglichen mit dem langfristigen Durchschnitt.

Entsprechend ungenau waren Prognosen der langfristigen Aktienmarktrenditen, die auf dem Shiller-KGV fußten. Viele professionelle Value-Investoren setzen das Kurs-Gewinn-Verhältnis nach Shiller oder ähnliche Bewertungskennzahlen ein, um die Renditen der kommenden Jahre zu schätzen und ihre Portfolios danach auszurichten. Wegen der hohen Aktienmarktbewertungen und der ebenfalls hohen Renditen in den USA waren diese Vorhersagen aber systematisch zu pessimistisch.

Mean Reversion ist kein stabiles Phänomen

Die Prognosen mit Hilfe des Shiller-KGV basieren auf der Beobachtung in der Vergangenheit, dass die Marktbewertung langfristig immer wieder zu ihrem Mittelwert zurückkehrte. In der Finanzmarktforschung wird dieses Phänomen als Mean-Reversion bezeichnet. Doch in den USA, dem wegen seiner weit in die Vergangenheit zurückreichenden Datenaufzeichnungen meist analysierten Aktienmarkt, blieb die Rückkehr zum Mittelwert in der jüngeren Vergangenheit weitgehend aus. Nur Anfang der 1990-Jahre und nach dem Börsencrash 2008 fiel das Shiller-KGV kurzzeitig unter seinen langfristigen Durchschnitt von gut 17, blieb aber weit von den Tiefpunkten der Vergangenheit entfernt (siehe Grafik oben).

Kritiker führen deswegen unter anderem ins Feld, die Orientierung am langfristigen Durchschnitt führe in die Irre, weil er das geänderte ökonomische Umfeld aus niedrigen Zinsen und geringer Inflation nicht reflektiere. Legt man den Durchschnitt des Shiller-KGV der vergangenen drei Jahrzehnte von gut 25 zugrunde, ergibt sich ein anderes Bild. Gemessen daran ist der Markt zwar immer noch teuer, befindet sich aber nicht in einer derart gigantischen Blase, die der Durchschnitt seit 1881 signalisiert.

Unter Wissenschaftlern ist nach wie vor umstritten, ob Mean-Reversion an den Aktienmärkten existiert und ob Anleger auf Grundlage dieses Phänomens überdurchschnittliche Renditen erwirtschaften können. Nach dem aktuellen Stand der Dinge, lässt sich Mean Reversion in manchen Aktienmärkten nachweisen, doch die Belege sind nur schwach, konstatieren etwa die Finanzmarktforscher Elroy Dimson, Paul Marsh und Mike Staunton.

Anlagestrategien, die sich am KGV orientieren, sind ein unsicheres Unterfangen

Anlagestrategien, die auf der Annahme basieren, dass sich Aktienmarktbewertungen auf lange Sicht immer wieder zu ihrem Mittelwert bewegen, können funktionieren, müssen es aber nicht. Wer auf unterbewertete Aktien und Aktienmärkte setzt, kann durchaus eine schlechtere Rendite erzielen als ein Investor, der mit einem börsengehandelten Indexfonds (ETF) auf einen Weltaktienindex wie den MSCI World eine einfache Buy-and-hold-Strategie verfolgt.

Die große Schwierigkeit besteht darin, festzulegen, wann Aktien gehalten oder übergewichtet und wann sie verkauft oder untergewichtet werden sollen. Das Forschungstrio Dimson, Marsh und Staunton testete für die Aktienmärkte von 20 entwickelten Ländern einen vielversprechenden Ansatz: Wenn die prognostizierte reale Rendite auf Basis der Marktbewertung für die nächsten fünf Jahre negativ war, schichteten sie das fiktive Kapital in kurz laufende Anleihen um. War die vom Model vorhergesagte Rendite positiv, hielten sie Aktien. Ihr Datensatz reichte von 1900 bis 2012, umfasste also 113 Jahre.

Das Ergebnis: In keinem Markt gelang es, eine Buy-and-hold-Strategie, bei der ein Anleger durchgehend in Aktien investiert bleibt, zu schlagen. Die Prognosen hatten die tatsächlichen Renditen unterschätzt.

Ein simpler Ansatz mit dem Shiller-KGV funktionierte in der jüngeren Vergangenheit besser

Meb Faber, Mitgründer und Chefanlagestratege des Vermögensverwalters Cambria Investment Management, verfolgt in einer Analyse von 2012 einen einfacheren Ansatz, der zumindest in der Vergangenheit funktionierte. Er wählt aus 30 Ländern jeweils die 33, 25 und 10 Prozent der Aktienmärkte aus, die gemessen am KGV nach Shiller am niedrigsten bewertet waren. Alle Portfoliokomponenten wurden gleich gewichtet. Voraussetzung für ein Investment ist allerdings, dass das Shiller-KGV nicht mehr als 15 beträgt. Liegt die Bewertung eines Landes darüber, wird dort nicht investiert und der Portfolioanteil als unverzinstes Bargeld gehalten.

Die Portfolios wurden jährlich rebalanciert, die Zusammensetzung überprüft und gegebenenfalls einzelne Länderaktienmärkte ausgetauscht. Faber testete diese Strategien mit Datenreihen, die erst 1980, 1990 und 2000 beginnen. Die Ergebnisse sind bestechend: Bei allen Varianten ist die reale jährliche Rendite erheblich höher im Vergleich zu einem Portfolio, das durchgehend und gleichgewichtet in alle 30 Länder investierte (Buy and Hold).

Die höchste Rendite erzielte der „Billigste-10-Prozent“-Ansatz mit 18,7 Prozent pro Jahr. Das Buy-and-hold-Portfolio erwirtschaftete mit jährlich 9,4 Prozent nur halb so viel. Das Risiko gemessen an der Volatilität war allerdings bei allen Shiller-KGV-Strategien höher als beim Buy-and-hold-Portfolio.

Dafür waren die für die Investoren wichtigeren maximalen Verluste erheblich niedriger. Während das Buy-and-Hold-Portfolio zeitweise fast 50 Prozent an Wert verlor, sank der Wert der Value-Portfolios nur um knapp 18 bis gut 23 Prozent. Ursache ist die Bewertungsobergrenze von 15. Sie sorgt dafür, dass die Portfolios zeitweise bis zu 100 Prozent Cash enthalten, falls alle Märkte teuer sind, so wie während der Dotcom-Blase Ende der 1990er-Jahre.

Trotz der eindeutigen Ergebnisse gibt es keinerlei Garantien, dass diese Portfolio-Strategien auf Basis des Shiller-KGVs auch künftig funktionieren. Ein Test, wie die Handelsansätze nach 2012 abgeschnitten haben, steht noch aus.

Das Shiller-KGV kann keine Umkehrpunkte an den Aktienmärkten vorhersagen

Während das Kurs-Gewinn-Verhältnis nach Shiller bei der Länderauswahl scheinbar gute Dienste leisten kann, ist es untauglich, um Wendepunkte an Aktienmärkten vorherzusagen. Auf welche Bewertungsniveaus die Investoren einen Markt nach oben oder unten treiben, kann niemand mit Sicherheit voraussagen. Mitte der 1990er-Jahre beispielsweise sah der amerikanische Aktienmarkt mit einem Shiller-KGV von 25 hoffnungslos überbewertet aus. Denn in der Vergangenheit war der Markt wiederholt heftig eingebrochen, wenn er Werte zwischen 22 und 25 erreicht hatte (siehe Grafik oben). Doch die Aktienkurse stiegen noch mehrere Jahre bis Ende 1999 unaufhaltsam weiter. Bevor die Blase platzte, erreichte das Shiller-KGV einen Rekordwert von fast 45 und fiel in dem anschließenden Crash nicht einmal unter 20.

Auch heute zeigt das Shiller-KGV wieder Werte an, die es nur 2022 und während der Dotcom-Blase erreichte. Bis wohin die Bewertungskennzahl noch steigen kann, bevor es zu einem Börsencrash kommt, ist unklar.

Im Vergleich zu den anderen internationalen Aktienmärkten haben sich die USA in den vergangenen  Jahren jedenfalls überrragend geschlagen, obwohl das Land weltweit am höchsten bewertet war. Wer deswegen auf US-Aktien verzichtete oder sie untergewichtete, hatte bei der Portfoliorendite das Nachsehen. Warum US-Aktien besser liefen als der Rest der Welt

Die folgende Tabelle zeigt die Bewertung der wichtigsten internationalen Aktienmärkte gemessen am Shiller-KGV.

Shiller-KGV für die wichtigsten internationalen Aktienmärkte gemessen an Länder- und Regionenindizes

Quelle: Research Affiliates, Stand: Februar 2024.

Erweiterung des CAPE-Ratios

Wegen der mäßigen Prognosegüte des Shiller-KGVs im vergangenen Jahrzehnt stand die Bewertungskennzahl immer wieder unter Beschuss. Kritiker bemängeln unter anderem, dass das CAPE-Ratio das Zinsniveau nicht berücksichtigt.

In der klassischen Finanztheorie und auch in von Praktikern verwendeten Bewertungsmodellen spielt die Höhe der Zinsen eine wichtige Rolle. Nach diesen Konzepten ergibt sich der faire Wert einer Aktie aus den abgezinsten Unternehmensgewinnen der Zukunft. Dementsprechend steigt bei sinkenden Zinsen der faire Wert, wenn alle anderen Faktoren unverändert bleiben. Bei steigenden Zinsen sinkt der Fair Value dagegen.

Anders formuliert: Bei sehr niedrigen Zinsen können Aktienbewertungen, die sonst als überzogen gelten, durchaus angemessen oder sogar attraktiv sein.

Diesem Zusammenhang trägt Robert Shiller in einer Erweiterung seiner CAPE-Ratio nun Rechnung. Die neu entwickelte Kennzahl nennt sich Excess CAPE Yield (ECY). Sie errechnet sich aus dem Kehrwert des Shiller-KGVs, von dem der reale Zins von US-Staatsanleihen mit 10 Jahren Laufzeit abgezogen wird. Shiller interpretiert die ECY als eine Art Risikoprämie. Je höher sie ist, desto attraktiver sind Aktien im Vergleich zu sicheren Staatsanleihen.

Gemessen an der ECY ist der amerikanische Aktienmarkt im Februar 2024 verhältnismäßig teuer. Die Excess CAPE Yield rangiert bei gut 1,8 Prozent. In der Vergangenheit war dieser Wert nur selten niedriger, wie der folgende Chart zeigt. Der langfristige Mittelwert beträgt 4,64 Prozent.

Entwicklung der Excess CAPE Yield für den amerikanischen Aktienmarkt seit 1900

Erweiterung des Shiller-KGVs: die Excess CAPE Yield

Quellen: Robert Shiller, Fairvalue. Stand: Februar 2024

Fairvalue-Empfehlungen

Alle Bewertungskennzahlen haben ihre Schwächen. Deshalb ist es ratsam, immer mehrere Kennzahlen und Indikatoren zu betrachten, um einen Eindruck von der Bewertung eines Marktes, einer Branche oder einer einzelnen Aktie zu bekommen. Preisgünstig erscheinende Aktienmärkte sind keine Garantie für steigende Kurse. Ebenso wenig müssen teure Aktien bald wieder fallen. Sie können noch viel teurer werden.

Aus dem klassischen KGV und dem Shiller-KGV lassen sich weder verlässliche Prognosen ableiten, noch zeigen sie Umkehrpunkte an den Börse an. Sie können Anlegern aber ein erstes Warnsignal liefern, falls sich an den Märkten Ungemach zusammenbraut. Zusätzlich sollten Investoren die Excess CAPE Yield im Auge behalten. Sie setzt die Aktienmarktbewertung ins Verhältnis zum Zinsniveau und liefert damit noch eine zusätzliche Perspektive.

Sicher, im Nachhinein ist man immer schlauer. Doch wenn sich Millionen Anleger Ende der 1990er-Jahre an den traditionellen Bewertungsmaßstäben orientiert hätten und an den vielen anderen Indikatoren, die eine Überhitzung der Börsen signalisierten, wären sie vielleicht nicht in die Verlustfalle getappt.

Der Autor


Markus Neumann ist Finanzjournalist, Gründer des Online-Anlegermagazins Fairvalue und Sachbuchautor. Zuletzt erschien von ihm „Das ETF-Portfolio – wie Sie ein fast unschlagbares Depot zusammenstellen und managen“. 2020 war er für den Deutschen Journalistenpreis in der Kategorie Vermögensverwaltung nominiert. Folgen Sie ihm auf Twitter.

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Inhalt

Der Artikel untersucht die Aussagekraft des klassischen Kurs-Gewinn-Verhältnisses (KGV) und des Shiller-KGVs für Anleger. Er beleuchtet, wie diese Kennzahlen dabei helfen können, unter- oder überbewertete Aktien zu identifizieren, betont jedoch auch ihre Grenzen und die Notwendigkeit, sie mit anderen Indikatoren zu kombinieren. Durch praxisnahe Beispiele, kritische Diskussionen und die Einführung der Excess CAPE Yield als Erweiterung des Shiller-KGVs, bietet der Artikel wertvolle Einblicke und Strategien für informierte Anlageentscheidungen.

© Fairvalue, aktualisiert am 20.02.2024

Fotografie: Kevin Dooley / Flickr (CC BY 2.0)

Quellen

Robert Shiller Data

Elroy Dimson, Paul Marsh, Mike Staunton: Mean Reversion, Credit Suisse Global Investment Returns Yearbook, 2013.

Joseph Davis, Roger Aliaga-Diaz, Harshdeep Ahluwalia, Ravi Tolani: Improving U.S. stock return forecasts: A „fair–value“ CAPE approach.The Journal of Portfolio Management, 2018.

Meb Faber: Global Value: Building Trading Models with the 10-Year-CAPE, 2012.

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