Länderindizes

Warum US-Aktien besser laufen als der Rest der Welt

Von Markus Neumann

US-Aktien hatten im vergangenen Jahrzehnt die Nase vorn

Wegen der märchenhaften Kursentwicklung von Superstar-Unternehmen aus dem Technologiesektor schnitt der amerikanische Aktienmarkt im zurückliegenden Jahrzehnt deutlich besser ab als der Rest der Welt, glauben viele Anleger. Doch das ist nicht einmal die halbe Wahrheit. Zwei Analysen zeigen die wahren Gründe für die relative Stärke von US-Aktien.

Das vergangene Jahrzehnt war bitter für Anleger, die nur wenig oder gar keine US-Aktien im Depot hatten. Die Kurse von amerikanischen Unternehmen zogen davon und ließen den Rest der Welt meilenweit hinter sich. In keinem Zehnjahreszeitraum seit 1970 war beispielsweise die Renditedifferenz im Vergleich zu europäischen Aktien größer. Während US-Titel gemessen am MSCI USA Index zwischen Anfang 2010 und Ende 2019 im Schnitt knapp 13 Prozent Rendite pro Jahr nach Abzug der Quellensteuern erzielten, brachte der MSCI Europe nur gut 5 Prozent – eine historische Rekorddifferenz von jährlich 8 Prozentpunkten.

Während US-Aktien abhoben, blieb der Rest der Welt im Tiefflug

US-Aktien stellte alle anderen Märkte in den Schatten

Quelle: MSCI, Stand: November 2020.

Wer Anfang 2010 genau 100 Euro in US-Aktien investierte, strich nach zehn Jahren einen Gewinn von 235 Euro ein. Ein Investment in europäische Aktien warf dagegen nur 65 Euro ab – lediglich ein Viertel im Vergleich zum amerikanischen Markt.

US-Aktien: Ziehen Superstar-Unternehmen wirklich den Markt?

Viele Marktbeobachter führen diese Entwicklung vor allem auf zwei Faktoren zurück: Der US-Dollar legte im Vergleich zu den meisten anderen Währungen zu. Aus der Perspektive eines Anlegers aus dem Euro-Raum erhöhte das die Gewinne von amerikanischen Aktien.

Einen weitaus größeren Effekt schreiben Investoren aber der märchenhaften Kursentwicklung vieler amerikanischer Technologiewerte zu. Der Run auf Apple, Google, Facebook und andere Superstar-Unternehmen aus dem High-Tech-Sektor und das höhere Gewicht von Technologiewerten in den US-Länderindizes hätten für die gewaltige Renditedifferenz gesorgt, meinen viele Investoren.

Doch nun zeigt eine Untersuchung des Morningstar-Analysten Daniel Sotiroff, dass sich diese These so nicht halten lässt. Danach erklären Wechselkursbewegungen und Unterschiede bei den Sektorgewichtungen in Länder- und Regionenindizes nur einen kleinen Teil der Renditedifferenz. Im Wesentlichen ist sie auf das deutliche höhere Gewinnwachstum von US-Unternehmen im Vergleich zum Rest der Welt zurückzuführen, schreibt Sotiroff.

Wechselkursänderungen hatten keinen nennenswerten Effekt

Seiner Analyse zufolge betrug die Renditedifferenz zwischen den USA und dem Rest der Welt gemessen am MSCI All Country World Index (MSCI ACWI) ex USA von April 2009 bis Ende Dezember 2019 genau 7,1 Prozentpunkte. Nur 0,72 Prozentpunkte davon lassen sich mit Wechselkursveränderungen erklären.

Auch das unterschiedliche Gewicht einzelner Sektoren wie Informationstechnologie, Finanzen und Gesundheit spielt nur eine untergeordnete Rolle. Viel entscheidender ist die Zusammensetzung der Sektoren, also die Auswahl der einzelnen Aktien, die sich zwischen einzelnen Länder- und Regionenindizes deutlich unterscheiden kann.

Im Technologiesektor beispielsweise waren 2009 in den USA Microsoft und IBM zwei der größten Player. Im Rest der Welt dominierten Nokia und Samsung. Die Geschäftsfelder dieser Unternehmen unterscheiden sich aber fundamental, ebenso das Management, was unter dem Strich zu verschiedenen Kursentwicklungen führt.

US-Aktien: Gewinnentwicklung erklärt Renditeunterschiede

Welchen Anteil unterschiedliche Sektorgewichte und die Aktienauswahl an der Renditedifferenz zwischen den USA an dem Rest der Welt haben, zeigt der Morningstar-Analyst in zwei Schritten. Zunächst zerlegt er die Wertentwicklung des MSCI USA und die des MSCI ACWI ex USA in zwei Komponenten: in Änderungen des Kurs-Gewinn-Verhältnisses (KGV) und in das Gewinnwachstum pro Aktie.

Steigende KGVs spiegeln eine zunehmende Risikobereitschaft der Anleger wider. Sie sind bereit, immer mehr für eine Einheit Gewinn zu bezahlen. Das ist die spekulative Komponente der Aktienrendite. Den fundamentalen Anteil reflektiert das Wachstum der Gewinne.

Welchen Beitrag diese beiden Faktoren zur Gesamtrendite in US-Dollar vor Abzug der Quellensteuern zwischen Anfang April 2009 und Ende Dezember 2019 lieferten, zeigt die folgende Tabelle:

Anteil von KGV und Gewinnwachstum an der Gesamtrendite

Quellen: Morningstar Direct, Daniel Sotiroff, Stand: September 2020.

Bezieht man Wechselkursänderungen mit ein, ergibt sich laut Sotiroff folgende Rechnung: Gemessen in lokalen Währungen erzielte der MSCI ACWI ex USA im Untersuchungszeitraum eine jährliche Durchschnittsrendite von 9,91 Prozent. Weil der US-Dollar aufwertete, machten US-Anleger mit ihren Auslandsinvestments Währungsverluste von 0,72 Prozent pro Jahr. Auf US-Dollar-Basis betrug die jährliche Rendite rund 9,2 Prozent.

In den USA stieg das KGV jährlich um 0,26 Prozentpunkte stärker an als im Rest der Welt. Das Gewinnwachstum fiel in den Vereinigten Staaten jährlich um 6,84 Prozentpunkte höher aus. Addiert man diese Faktoren, ergibt sich die Renditedifferenz zwischen den USA und dem Rest der Welt von 7,1 Prozentpunkten pro Jahr.

Welche Sektoren das höhere Gewinnwachstum von US-Aktien trieben

Zunächst bleibt also festzuhalten: Die erheblich bessere Wertentwicklung von US-Aktien basiert im Wesentlichen auf dem höheren Gewinnwachstum pro Aktie und nicht auf einer Zunahme der Spekulation.

Die Morningstar-Analyse geht aber noch einen Schritt weiter. Sie untersucht zudem, wieviel die einzelnen Sektoren zu der gewaltigen Differenz beim Gewinnwachstum beitrugen. Die Ergebnisse zeigt die nächste Tabelle:

Auf welche Sektoren die Differenz beim Gewinnwachstum pro Aktien zurückzuführen ist (in Prozentpunkten)

Quellen: Morningstar Direct, Daniel Sotiroff, Stand: September 2020.

Anders als viele Anleger erwartet haben dürften, ist das höhere Gewinnwachstum von US-Aktien nur zu 30 Prozent dem Technologiesektor zuzuschreiben. Den größten Anteil hat die Finanzindustrie, die in den USA deutlich höhere Gewinne erwirtschaftet als im Rest der Welt. Banken und Versicherungen in anderen Regionen, etwa in Europa, konnten nach den Berechnungen von Morningstar nicht mithalten.

Warum machen US-Unternehmen mehr Gewinn?

Offen bleibt in der Untersuchung die Frage, warum US-Unternehmen im vergangenen Jahrzehnt höhere Gewinne erzielten als Firmen in Europa und anderswo. Eine mögliche Antwort liefert der Ökonom Thomas Philippon. Folgt man seiner Analyse ist die Ursache ein Rückgang des Wettbewerbs auf den meisten US-Märkten. In seinem Buch „The Great Reversal“ untermauert er diese These mit einer brillanten empirischen Analyse.

Philippon geht der Frage nach, warum beispielsweise ein Breitband-Internetzugang in den USA im Schnitt mehr als doppelt so teuer ist wie in Südkorea und rund 85 Prozent mehr kostet als in Deutschland und Frankreich. Den Grund sieht er in mangelndem Wettbewerb in den Vereinigten Staaten. Einst waren die USA die Wiege der Deregulierung und der freien Märkte. Doch in den vergangenen zwei Jahrzehnten hat der Wettbewerb deutlich abgenommen, beobachtete der Ökonom. Das Land der unbegrenzten Möglichkeiten wird seinem Ruf nicht mehr gerecht.

Nimmt die Konkurrenz ab, haben die verbleibenden Unternehmen auf einem Markt eine höhere Preissetzungsmacht, die sie auch nutzen. Anders formuliert: Je geringer der Wettbewerb, desto üppiger sprudeln die (Oligopol)Gewinne der Unternehmen – zum Nachteil der Kunden.

Lobbyismus untergräbt den Wettbewerb

Philippon belegt die wachsende Konzentration auf vielen amerikanischen Märkten mit einer Vielzahl von Daten. Als Ursache für diese Entwicklung hat er zunehmenden Lobbyismus der großen Konzerne ausgemacht, die wachsenden Einfluss auf Wettbewerbsbehörden, Regulierer und Politik ausüben.

Die Frage, warum das in Europa nicht ähnlich läuft, beantwortet der Professor an der New Yorker Stern School of Business so: In der Europäischen Union seien die Wettbewerbs- und Regulierungsbehörden unabhängiger als in den USA. Das liege daran, dass die einzelnen Mitgliedsländer mit allen Mittel verhindern wollen, dass sich ein einzelner Staat Vorteile verschaffen kann. Das führe zu starken Institutionen, die nicht so leicht zu instrumentalisieren seien.

Fairvalue-Empfehlungen

Historisch betrachtet folgten auf Phasen, in denen US-Aktien höhere Renditen lieferten als der Rest der Welt, immer wieder Perioden, in denen es umgekehrt war. Aus amerikanischer Sicht sei die Frage nicht, ob ausländische Aktien ihr Comeback feiern werden, sondern wann, schreibt der Morningstar-Analyst Sotiroff.

Ist aber ein Mangel an Wettbewerb in den USA die Ursache für das erheblich höhere Gewinnwachstum der Unternehmen, wird dieser fundamentale Vorteil nicht über Nacht verschwinden. Insofern könnte nur ein spekulativer Run auf europäische Aktien dazu führen, dass sie in den kommenden Jahren an US-Titel vorbeiziehen werden.

Ob es so kommen wird, weiß niemand. Anleger sind deswegen gut beraten, wenn sie an einer diversifizierten Portfoliostrategie mit einem nicht zu geringen Anteil US-Aktien festhalten. Wer meint, dass US-Aktien auch künftig besser abschneiden werden als europäische Werte und die Emerging Markets, sollte sein Portfolio nach der Marktkapitalisierung gewichten. Alle anderen können sich an der Wirtschaftsleistung orientieren. Das führt zu einem geringeren Anteil von US-Aktien im Depot.

Der Autor


Markus Neumann ist Finanzjournalist, Gründer des Online-Anlegermagazins Fairvalue und Sachbuchautor. Zuletzt erschien von ihm „Das ETF-Portfolio – wie Sie ein fast unschlagbares Depot zusammenstellen und managen“. 2020 war er für den Deutschen Journalistenpreis in der Kategorie Vermögensverwaltung nominiert. Folgen Sie ihm auf Twitter.

© Fairvalue 28.11.2020

Fotografie: Frank Mckenna / Unsplash

Quellen

Daniel Sotiroff: Foreign Stocks` Lost Decade, Morningstar, 2020.

Thomas Philippon: The Great Reversal, 2019.

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