Im Jahr 2009 gewährte eine deutsche Onlinebank einem Team von Wissenschaftlern Einblick in die Portfolios von 8000 Kunden. Was die Forscher zutage förderten, deckt sich mit einer Reihe von anderen internationalen Studien: Die Kundendepots waren im Schnitt schlecht diversifiziert. Deutsche Einzelaktien dominierten. Andere Anlageklassen als Aktien, etwa Anleihen, kamen fast gar nicht zum Einsatz.
Laut anderen Untersuchungen aus Deutschland und den USA halten sogenannte Selbstentscheider, die ihr Geld in Eigenregie über Onlinebanken verwalten, nur zwischen vier und elf Aktien in ihren Depots – viel zu wenig für eine solide Diversifikation. Zudem stellte der Finanzmarktforscher Markus Glaser im Jahr 2003 in einer Studie fest, dass viele Anleger vor allem besonders riskante Technologiewerte gekauft hatten.
Statt solide zu diversifizieren jagen Anleger oft vermeintlichen Kursraketen hinterher
Stark wachsende Unternehmen, die sich anschicken, faszinierende Zukunftsmärkte zu erobern und deren Kurse zeitweise steigen wie Raketen, übten schon immer eine magische Anziehungskraft auf Menschen aus, die an der Börse auf das schnelle Geld hoffen. In den 1960er-Jahren zogen Unternehmen wie IBM Anleger in ihren Bann. In den 1990er-Jahren waren es Internetfirmen wie AOL und Yahoo. Heute locken Alphabet, Apple, Amazon und vor allem Tesla. Der Kurs des Elektroautobauers stieg von Anfang Juli 2010 bis Anfang Juli 2015 um sagenhafte 1700 Prozent.
Auf realen Gütermärkten sinkt die Nachfrage in der Regel, wenn die Preise steigen. Nicht so an der Börse. Dort ziehen stark steigende Preise immer mehr Käufer an. Meist heizt eine ausufernde Medienberichterstattung die Hysterie zusätzlich an. Das war auch 2018 bei den sogenannten Kryptowährungen wie Bitcoin zu beobachten.
Doch was kometenhaft steigt, fällt oft auch wieder. Das haben Showgeschäft und Börse gemeinsam. Die Kurse von IBM und vieler andere Zukunftswerte der 1960er-Jahre stürzten ab. Ebenso versanken die meisten Protagonisten der ersten Internetwelle der 1990er-Jahre in der Bedeutungslosigkeit.
Möglicherweise wird die Geschichte von Tesla ähnlich verlaufen. Für Anleger, die auf den Autobauer gesetzt haben und nur noch wenige andere Aktien im Depot halten, hätte ein Absturz der Aktie jedenfalls fatale Folgen. Wer nur vier oder fünf Werte hält, ist hoffnungslos unterdiversifiziert. Gerät nur eines der Unternehmen in Not, wird das Portfolio spürbar in Mitleidenschaft gezogen.
Die Vorteile einer guten Diversifikation
Dagegen sind bei einem gut diversifizierten Aktiendepot unternehmensspezifische Risiken weitgehend ausgeschaltet. Schlittert beispielsweise ein Konzern in die Pleite, ist das zwar ärgerlich, aber problemlos zu verkraften. Ein solches Portfolio enthält eine ausreichend große Anzahl von Aktien, zwischen denen ein möglichst geringer Zusammenhang besteht. Fällt der Kurs einer Aktie, sollten die Preise der anderen Titel nicht alle zeitgleich fallen. Gegenläufige Kursbewegungen der einzelnen Aktien senken die Wertschwankungen des Gesamtportfolios.
Den Zusammenhang zwischen einzelnen Wertpapieren und verschiedenen Anlageklassen messen Finanzexperten mit Hilfe der Korrelation. Sie zeigt an, wie häufig sich beispielsweise die Kurse von zwei Aktien in dieselbe Richtung bewegten. Je seltener das vorkommt, desto niedriger ist die Korrelation und desto größer ist der Diversifikationseffekt. Dieser führt zu einer geringeren Schwankungsbreite der Portfoliorendite. Es ist sogar möglich, dass die Volatilität des Gesamtportfolios unter die der Komponente mit den niedrigsten Wertschwankungen sinkt.
Wie viele Aktien brauchen Anleger für eine ausreichende Risikostreuung?
Unter Wissenschaftlern ist allerdings umstritten, wie viele verschiedene Aktien ein Anleger braucht, um eine ausreichende Diversifikation zu erzielen. Die Angaben in verschiedenen Studien schwanken zwischen 20 und mehr als 100 Aktien. Ein weiteres Manko: Fast alle Untersuchungen beziehen sich lediglich auf den Aktienmarkt eines einzelnen Landes oder auf eine stark eingeschränkte Grundgesamtheit, etwa 70 europäische Standardwerte. Insofern ist die Aussagekraft dieser Ergebnisse eingeschränkt.
Denn ein Aktienportfolio sollte international diversifiziert sein. Darüber besteht unter Fachleuten weitgehend Einigkeit. Doch die Frage, wie viele Titel aus welchen Ländern und Branchen für eine gute globale Risikostreuung ausreichend sind, hat die Forschung nach unserer Kenntnis bisher nicht beantwortet.
Anleger, die beispielsweise über börsengehandelte Indexfonds (ETF) auf internationale Marktindizes setzen wie den MSCI World Index oder den MSCI World All Country Index, sind aber wegen der Vielzahl von einzelnen Werten, die diese ETF enthalten, mit Sicherheit ausreichend diversifiziert.
Typischer Fehler bei der Diversifikation: Der sogenannte Home-Bias
Doch die meisten Investoren konzentrieren sich zu stark auf Unternehmen aus dem Heimatstaat. Das ist ein in vielen Ländern gut dokumentierter Anlagefehler, den Wissenschaftler Home-Bias nennen. Die Folgen sind höhere Wertschwankungen des Portfolios und langfristig meist auch geringere Renditen.
Ein Home-Bias ist ein sogenanntes Klumpenrisiko im Portfolio, ein gefährliches Übergewicht einzelner Anlagen. Wozu das immer wieder führt, bekamen deutsche Anleger beispielweise 2018 zu spüren. Unter den Aktienmärkten der Industrieländer fuhren deutsche Werte gemessen am Dax mit einem Jahresverlust von fast 20 Prozent eines der schlechtesten Ergebnisse ein. Das zog schlecht diversifizierte Portfolios mit einem hohen Anteil deutscher Unternehmen weit nach unten.
Zum Vergleich: Der Weltaktienindex MSCI World, der die Wertentwicklung von 23 Industrieländern abbildet, büßte dagegen nur gut 4 Prozent ein. Deutsche Aktien haben in diesem Index gerade mal einen Anteil von rund 3 Prozent. Das entspricht dem relativen Börsenwert der hiesigen Unternehmen gemessen am Börsenwert aller 23 Industrieländer.
Natürlich gab es in der Vergangenheit auch Jahre, in denen der Dax weltweit zu den Indizes mit der höchsten Rendite zählte. Aber wäre es nicht wünschenswerter, Jahresrenditen zu erzielen, die weniger stark schwanken, statt von einem Extrem ins andere zu verfallen? Genau das erreichen Sie mit einer guten Diversifikation.
Davon unberührt bleibt die Rendite, die ein Anleger innerhalb eines bestimmten Zeitraumes erzielt. Die Portfoliorendite entspricht immer dem gewichteten Durchschnitt der einzelnen Komponenten. Das bedeutet: Eine neue Portfolioposition kann die Volatilität des Gesamtportfolios senken, falls die Korrelation mit den anderen Anlagen gering ist. Fällt aber die Rendite der neuen Komponente künftig geringer aus als die gewichtete Durchschnittsrendite der alten Anlagen, sinkt die Gesamtrendite des Portfolios. Umgekehrt steigt sie, wenn die Rendite der neuen Portfolioposition höher ist als der Durchschnitt.
Diversifikation in der Praxis
Vernünftig zusammengestellte Anlageportfolios sind auf zwei Ebenen diversifiziert: Innerhalb der einzelnen Anlageklassen und auf Portfolioebene, indem verschiedene, wenig korrelierte Anlageklassen gemischt werden. Die wichtigsten Anlageklassen sind Aktien, Anleihen, Immobilien und Rohstoffe. Diese Segmente unterteilt die Finanzbranche meist in weitere Subanlageklassen.
Die jährlichen Renditen der meisten Anlageklassen schwanken (siehe Grafik). Welche Wertpapiergruppe in den nächsten Jahren am besten abschneiden wird, weiß niemand im Voraus. Deswegen ist Diversifikation so wichtig. Nehmen wir an, ein Anleger würde nur auf eine einzelne Anlageklassen, sagen wir auf Schwellenländeraktien, setzen. Dann hätte er mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit ein ziemliches nervenaufreibendes Auf und Ab der jährlichen Renditen vor sich, wie die historische Wertentwicklung nahelegt.