Indexreform

Der neue Dax 40: Ist er riskanter oder stabiler?

Von Markus Neumann

Dax 40: Anzeigentafel in der Börse Frankfurt

Dax-Anzeigetafel in der Börse Frankfurt.

Zehn zusätzliche Unternehmen sind in den Dax eingezogen. Viele Marktbeobachter meinen, dass die Vergrößerung zu geringeren Wertschwankungen führen werde. Andere erwarten dagegen steigende Risiken. Analysen von Fairvalue zeigen: Für beide Behauptungen gibt es wenig Anhaltspunkte.

In den vergangenen Wochen ist viel über die Erweiterung des deutschen Aktienindex (Dax) von 30 auf 40 Indexmitglieder geschrieben worden. Viele Kommentatoren begrüßten die Vergrößerung des Leitindex, denn der sei nun besser diversifiziert: „40 Werte sind (…) besser als 30, weil sich so das Geld der Anleger auf mehr Aktiengesellschaften verteilen lässt“, schrieb beispielsweise die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung in einem Beitrag über Dax-ETFs. Laut dem Hamburger Abendblatt meint auch der Chefinvestmentstratege der Hamburger Sparkasse, Bernd Schimmer: Umso mehr Werte und Branchen in einem Index vertreten sind, desto stabiler verlaufe er in der Theorie.

Solche Aussagen klingen im ersten Augenblick einleuchtend, weswegen sie kaum hinterfragt werden. Sie sind aber grundlegend falsch. Mehr Geld, mehr Ruhm, mehr Macht, mehr Schönheit mag nach Ansicht der meisten Menschen besser sein als weniger. Doch wenn es um Risikostreuung geht, gilt die Mehr-ist-besser-Formel nicht uneingeschränkt. Die Erweiterung des Dax kann sogar dazu führen, dass das Risiko des Index steigt.

Der Zusammenhang von Volatilität und Korrelation

Wer verstehen will, warum das so ist, muss sich zunächst mit der Frage befassen, wie Risiko an den Kapitalmärkten gemessen wird. Da es unterschiedliche Risiken gibt, gibt es auch unterschiedliche Risikomaße. In Theorie und Praxis wird am häufigsten die sogenannte Standardabweichung verwendet. Sie misst wie stark die Renditen einer Aktie (oder eines anderen Wertpapiers) im Schnitt um ihren Mittelwert schwanken. Diese sogenannte Volatilität sinkt in einem Portfolio aus Aktien oder beispielsweise ETFs, wenn Anleger Wertpapiere hinzufügen, deren Volatilität geringer ist als die des bisherigen Gesamtportfolios.

Die Schwankungsbreite kann aber auch zurückgehen, wenn die Volatilität des hinzugefügten Wertpapieres hoch, aber die Korrelation mit den anderen Portfoliowerten sehr niedrig ist. Dagegen treibt eine Aktie mit hoher Volatilität und hoher Korrelation das Gesamtrisiko des Portfolios in die Höhe.

Der Diversifikationseffekt

Sind zwei Wertpapiere hoch korreliert, bewegen sich ihre Renditen so gut wie immer in dieselbe Richtung. Die Kurse von unkorrelierten Wertpapieren steigen dagegen häufig, wenn die der anderen Wertpapiere fallen – und umgekehrt. Das senkt die Wertschwankungen des Portfolios.

Fachleute sprechen von einem Diversifikationseffekt. Dass es dabei aber eben nicht auf die Quantität, sondern auf die Eigenschaften der neu hinzugefügten Anlagen ankommt, verdeutlichen ein paar Beispiele:

Wenn Sie zum Beispiel in den vergangenen Jahren in einen ETF auf den MSCI World investiert und irgendwann beschlossen haben, 30 Prozent Ihres Kapitals in einen ETF auf die Emerging Markets umzuschichten, dann ist die Anzahl der Aktien, die Sie indirekt halten, von knapp 1600 auf etwa 3000 gestiegen. Folgt man der naiven Logik vieler Marktbeobachter müsste sich die Diversifikation Ihres ETF-Portfolios verbessert haben.

Wäre das der Fall, würde die Volatilität Ihres Portfolios sinken. Das war in den vergangenen zwei Jahrzehnten aber nicht zu beobachten. Die Volatilität von Emerging-Markets-ETFs war höher als die des MSCI World. Gleichzeitig war die Korrelation ziemlich hoch. Unter dem Strich führte das zu einem riskanteren Portfolio mit höheren Wertschwankungen, das allerdings auch mehr Rendite abwarf.

Weniger ist manchmal mehr

Nehmen wir noch ein anderes Beispiel: Wäre bei der Diversifikation mehr immer besser als weniger, dann müsste die Volatilität des MSCI World niedriger sein als die eines jeden Portfolios, das nur Aktien von 40 Unternehmen enthält wie der neue Dax. Doch auch das trifft nicht zu. Der MSCI Switzerland Index, der nur 40 Werte enthält, war in den vergangenen drei, fünf und zehn Jahren deutlich weniger riskant als der MSCI World.

Während die annualisierte Standardabweichung des Schweizer Index zwischen August 2018 und August 2021 rund 12,5 Prozent betrug, lag die des MSCI World bei knapp 18 Prozent, war also um 44 Prozent höher. Das zeigt: Es kommt nicht auf die Menge der Aktien in einem Portfolio an, sondern auf ihre Eigenschaften.

Daraus folgt auch: Es ist nicht automatisch ein Problem, wenn in einem Index wie dem MSCI World das Gewicht einzelner Länder oder Sektoren zunimmt. Deswegen wird der Index, gemessen an der Volatilität, nicht zwangsläufig riskanter. Im Gegenteil: Nimmt das Gewicht von Aktien mit geringer Schwankungsbreite und niedriger Korrelation zu, sinkt die Volatilität des Index. Mehr zur Kritik am MSCI World lesen Sie hier.

Welche Eigenschaften haben die Neuzugänge im Dax?

Doch wie stehen die Dinge nun beim Dax 40? Welche Diversifikationseigenschaften bringen die zehn neuen Mitglieder mit? Die Wirtschaftswoche erwartet „mehr Risiko durch die Neulinge“. Eine Ursache seien deren „stärkere Kursschwankungen“ im Vergleich zum alten Dax 30. In der Tat ist die Schwankungsbreite der Dax-Neuzugänge zum Teil gewaltig. Spitzenreiter ist HelloFresh. Die Volatilität der Aktie beträgt gemessen seit Anfang 2018 gut 50 Prozent, die des Dax 30 knapp 19 Prozent. Aber auch die Aktien von Porsche (40 Prozent), Zalando (41 Prozent) Puma (30 Prozent) und Sartorius (37 Prozent) schwankten in der Vergangenheit heftig.

Doch wer allein daraus ableitet, dass das Risiko des neuen Dax höher sein wird als das des alten, hat die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Wie Sie oben gelernt haben, kommt es nicht nur auf die Volatilität, sondern auch auf die Korrelation an. Und auf das Gewicht einer Aktie im Index.

Beispiel Airbus

Werfen wir einen genaueren Blick auf Airbus. Von allen Dax-Zugängen hat der Flugzeugbauer mit knapp 5,5 Prozent das größte Gewicht im neuen Dax 40. Die langfristige Volatilität der Aktie betrug 35 Prozent, gemessen seit März 2008, und die des Dax 30 knapp 19 Prozent. Unterstellt man, dass diese Werte auch weiterhin Gültigkeit besitzen, dann steigt die Volatilität des Dax 30 um knapp einen Prozentpunkt, wenn Airbus mit einem Gewicht von 5,5 Prozent hinzugefügt wird.

Doch das gilt nur für einen perfekten Gleichlauf von Dax 30 und Airbus, also für eine Korrelation von 1. Tatsächlich lag die Korrelation aber mit 0,55 nur halb so hoch. Es wirken also zwei gegensätzliche Kräfte: Die höhere Schwankungsbreite von Airbus treibt die des Dax nach oben. Die relativ niedrige Korrelation senkt sie dagegen.

Unter dem Strick kommt es darauf an, welcher der beiden Effekte überwiegt. Dabei spielt auch die Gewichtung der Aktie im Index eine Rolle, allerdings keine besonders große. Blieben die statistischen Werte langfristig unverändert, würde die Schwankungsbreite des Dax 30 plus Airbus nur um neun Hundertstel Prozentpunkte steigen. Selbst wenn sich das Indexgewicht von Airbus auf 20 Prozent vervierfachen würde, stiege die Volatilität lediglich um einen knappen Prozentpunkt an. Dafür sorgt die Magie einer niedrigen Korrelation.

Letztlich kommt es auf die Wechselwirkungen an

Eine solche Analyse könnte man jetzt mit jedem der zehn neuen Dax-Werte durchführen. Die Ergebnisse würden die Frage, ob der Dax künftig riskanter oder stabiler wird, nicht vollständig beantworten. Denn solche Einzelanalysen berücksichtigen nicht die Wechselwirkungen der zehn Aktien untereinander.

Wir haben deshalb ein Portfolio aus den zehn Neuzugängen berechnet und sie der Einfachheit halber nach ihrer aktuellen Marktkapitalisierung gewichtet. Den Untersuchungszeitraum von Juni 2018 bis Ende August 2021 gibt die Aktie vor, die am kürzesten an der Börse Frankfurt notiert ist. Die Volatilität des Portfolios liegt mit gut 20 Prozent weit unter der der Einzelaktien – dank einer niedrigen Korrelation.

Aus diesem Debütanten-Portfolio und dem alten Dax setzt sich der neue Dax 40 zusammen. Die Neulinge haben zusammen ein Gewicht von 17,5 Prozent. Würden sich die Gewichtungen, die Wertschwankungen und die Korrelationen über die Zeit nicht ändern, wäre die Volatilität des Dax 40 geringer als die des Dax 30. Sie würde um knapp 0,6 Prozentpunkte von 19,46 auf 18,87 Prozent sinken. Von einer substanziellen Veränderung kann demnach keine Rede sein. Weder steigt das Risiko, noch sinkt es nennenswert.

MSCI Deutschland Index lag nahe am alten Dax

Natürlich sind diese Analysen nur statische Planspiele. In der Realität schwanken alle Parameter. Erst im Nachhinein wird man zweifelsfrei ermitteln können, ob der Dax 40 riskanter oder stabiler als der alte Dax 30 war. Die Daten deuten aber darauf hin, dass es letztlich keine großen Abweichungen geben wird. Das zeigt auch ein Vergleich des MSCI Germany Index mit dem alten Dax. Der MSCI-Index enthält derzeit 62 Unternehmen und damit mehr kleinere, schwankungsanfälligere Werte als der neue Dax 40. Dennoch war die langfristige Volatilität des MSCI Deutschland in der Vergangenheit ähnlich hoch wie die des alten Dax.

Der Autor


Markus Neumann ist Finanzjournalist, Herausgeber des Online-Anlegermagazins Fairvalue und Sachbuchautor. Zuletzt erschien von ihm „Das ETF-Portfolio – wie Sie ein fast unschlagbares Depot zusammenstellen und managen“. 2020 war er für den Deutschen Journalistenpreis in der Kategorie Vermögensverwaltung nominiert. Folgen Sie ihm auf Twitter.

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© Fairvalue 30.09.2021

Fotografie: Deutsche Börse AG

Quellen

Eigene Recherchen und Berechnungen

Martin Weber: Genial einfach investieren, Campus 2007.

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