Deutsche Aktien: Die meisten Unternehmen verbrennen Anlagekapital
Von Markus Neumann
Wenn sich Anlagekapital in Rauch auflöst, kommt jede Hilfe zu spät: Seit 1990 bescherten 60 Prozent der deutschen Aktien ihren Besitzern Verluste.
Deutsche Aktien haben Anlegern seit 1990 Verluste in Höhe von 528 Milliarden US-Dollar beschert, belegt eine neue Studie. 60 Prozent der börsennotierten Unternehmen lieferten eine negative Rendite. Doch es gibt noch weitere Gründe, warum Anleger um deutsche Werte einen großen Bogen machen sollten.
Deutschland genießt hohes Ansehen. Das Land ist die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP). Die Anleihen der Bundesrepublik zählen zu den sichersten, die rund um den Globus zu kaufen sind. Die Gewissheit, dass Deutschland seine Schulden stets pünktlich zurückzahlen wird, stützt sich auf die hochentwickelte Wirtschaft, die für wachsende Steuereinnahmen sorgt. Das Siegel Made in Germany steht für exzellente Qualität – die weltweite Nachfrage nach solchen Waren ist hoch.
Vor diesem Hintergrund ist die Annahme naheliegend, dass auch deutsche Aktien Anteilsscheine an soliden Unternehmen sind, die ihren Aktionären in aller Regel stattliche Erträge oberhalb des sicheren Marktzinses einbringen. Doch die Realität sieht anders aus, wie eine empirische Studie des US-amerikanischen Finanzmarktforschers Hendrik Bessembinder belegt. Danach bescherten deutsche Aktien ihren Besitzern in den vergangenen 29 Jahren meistens Verluste.
Deutsche Aktien: Sechs von zehn Titeln machten Verlust
Der Untersuchung zufolge waren zwischen Anfang 1990 und Ende 2018 insgesamt 436 deutsche Aktien in dem elektronischen Handelssystem Xetra der Deutschen Börse notiert. Weitere 1054 Titel wurden an der Börse Frankfurt gehandelt. Der Börsenwert der insgesamt 1490 deutschen Aktien summierte sich Ende 2018 auf knapp 1,9 Billionen US-Dollar.
Nur 40,2 Prozent der deutschen Aktien lieferten im Untersuchungszeitraum eine Rendite inklusive Dividenden über null. Die anderen knapp 60 Prozent machten Verlust. Lediglich 35,4 Prozent der Titel belohnten die Anleger für das eingegangene Risiko mit Erträgen, die über denen von sicheren US-amerikanischen Staatsanleihen mit einer Restlaufzeit von einem Monat (T-Bills) lagen. Von gerade mal 26,1 Prozent der Unternehmen waren die Renditen höher als der nach Marktkapitalisierung gewichtete Marktdurchschnitt. Anders formuliert: Von vier Aktien schnitten drei schlechter als der Marktdurchschnitt ab.
Die Qualität des deutschen Aktienmarktes entspricht in etwa der von Nigeria
Auch im internationalen Vergleich sind diese Zahlen katastrophal. Bessembinder untersuchte die Aktienmärkte der weltweit 41 wirtschaftlich stärksten Länder mit insgesamt knapp 62.000 Aktien. Gemessen an den oben genannten Kennzahlen (Anteil der Aktien mit einer Rendite größer null, Anteil der Aktien mit einer Rendite größer als T-Bills, Anteil der Aktien mit einer Rendite größer als der nach Börsenwert gewichtete Marktdurchschnitt) rangieren deutsche Aktien im unteren Viertel in illustrer Gesellschaft mit notorischen Krisenländern wie Griechenland, Türkei, Russland, Indonesien und Nigeria (siehe Tabelle). Zu den weltweit besten Aktienmärkten zählen das bürgerkriegsgebeutelte Kolumbien, die Schweiz und Finnland.
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Die Tabelle zeigt für jedes Land den Anteil der Aktien, deren Rendite größer null, größer T-Bills und größer als der Marktdurchschnitt war
wdt_ID
Aktienmarkt
Rendite pro Jahr
Anteil der Aktien > 0
Anteil der Aktien > T-Bills
Anteil der Aktien > Marktdurchschnitt
1
Kolumbien
8.02%
67.70%
67.70%
58.10%
2
Schweiz
6.36%
70.30%
65.60%
50.10%
3
Finnland
5.74%
61.60%
59.30%
47.10%
4
Israel*
4.96%
57.80%
55.30%
47.10%
5
Neuseeland
6.31%
60.50%
54.10%
46.60%
6
Belgien
4.90%
61.90%
55.00%
45.70%
7
Spanien
4.43%
53.60%
46.10%
41.70%
8
Schweden
5.05%
51.90%
49.00%
40.50%
9
Niederlande
5.03%
61.10%
50.90%
39.50%
10
Kanada
5.73%
50.60%
46.40%
39.10%
*Israel seit November 1994, Brasilien seit August 1993, China seit 1991, Nigeria seit November 1993, Polen seit Juni 1993, Russland seit August 1995, Türkei seit Februar 1990.
Dass 75 Prozent der untersuchten Märkte besser abschneiden als deutsche Aktien, dürfte die meisten Anleger hierzulande überraschen. Sie wiegen sich in dem von vielen Medien bestärkten Glauben, dass sich die hohe wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des exportstarken Deutschlands auch in der Qualität der hiesigen Aktien niederschlagen muss. Tatsächlich ist die Mehrheit der deutschen Aktien aber Schrott.
Das spiegelt sich auch in den durchschnittlichen Renditen inklusive Dividenden wieder. Während der Wert der Aktien aus dem bürgerkriegsgebeutelten Kolumbien in 29 Jahren im Schnitt um 837 Prozent stieg (8 Prozent pro Jahr), warfen deutsche Aktien lediglich 160 Prozent ab. Letzteres entspricht einer durchschnittlichen Rendite von 3,35 Prozent pro Jahr auf US-Dollar-Basis.
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Deutsche Aktien vernichteten in 29 Jahren 528 Milliarden US-Dollar Anlagekapital
Bessembinders Daten zufolge erwirtschafteten deutsche Aktien zwischen 1990 und 2018 einen Brutto-Vermögenszuwachs von 1708 Milliarden US-Dollar für ihre Aktionäre. Gleichzeitig vernichteten die Unternehmen, deren Börsenkurse sich schlecht entwickelten, 528 Milliarden US-Dollar. Das entspricht im Schnitt einem Verlust von 18,2 Milliarden US-Dollar pro Jahr und 72,2 Millionen US-Dollar pro Handelstag. Unter dem Strich blieb ein Netto-Vermögenszuwachs von 1180 Milliarden US-Dollar.
Setzt man Verluste und Brutto-Erträge ins Verhältnis ergibt sich die „Kapitalvernichtungsquote“. Für deutsche Aktien beträgt sie knapp 31 Prozent. International rangiert die Bundesrepublik damit im Mittelfeld. Zum Vergleich: In der Schweiz betrug die Quote nur rund 5,3 Prozent (siehe Tabelle).
Vermögenszuwachs und vernichtetes Anlagekapital in Milliarden US-Dollar
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Aktienmarkt
Vermögenszuwachs brutto
Vermögenszuwachs netto
Vernichtetes Kapital
Vernichtungsquote
1
Switzerland
1615
1530
85
5.26%
2
Sweden
835
780
55
6.59%
3
Denmark
421
392
29
6.89%
4
Colombia
98
90
8
8.16%
5
Netherlands
888
791
97
10.92%
6
Israel
144
127
17
11.81%
7
Finland
305
264
41
13.44%
8
New Zealand
87
74
13
14.94%
9
Australia
1483
1257
226
15.24%
10
United States
33992
28607
5385
15.84%
Quellen: Hendrik Bessembinder u. a., Fairvalue, Stand: September 2019.
Deutschland hat keine internationalen Champions
Angesichts der niederschmetternden Zahlen ist es nicht erstaunlich, dass deutsche Aktien international nur eine untergeordnete Rolle spielen. Unter den 50 besten Unternehmen mit dem höchsten Anteil am globalen Vermögenszuwachs befindet sich keine Firma aus der Bundesrepublik. Während US-amerikanische Konzerne die Rangliste dominieren, schafften einige Konzerne aus der Schweiz (Nestle, Roche, Novartis) und aus Frankreich (Total, LVMH, LÓreal) den Sprung in die Top 50.
Die erfolgreichste Aktie ist die von Apple, die allein 1,51 Prozent zum globalen Brutto-Vermögenszuwachs beitrug. Zum Vergleich: SAP, das beste deutsche Unternehmen in den vergangenen 29 Jahren, hatte einen Anteil von 0,18 Prozent. Die Top 20 der deutschen Aktien, die alle aus dem Dax stammen, zeigt die folgende Tabelle:
Die Top 20 der deutschen Aktien von 1990 bis 2018
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Unternehmen
Vermögenszuwachs in Mrd. USD
Anteil am globalen Vermögenszuwachs brutto
Anteil am nationalen Vermögenszuwachs brutto
Internal Rate of Return pro Jahr
1
SAP SE
118.4
0.18%
6.93%
12.59%
2
BASF SE
103.6
0.16%
6.07%
12.25%
3
SIEMENS AG
99.3
0.15%
5.82%
7.58%
4
VODAFONE AG
87.9
0.13%
5.15%
20.60%
5
VOLKSWAGEN AG
63.3
0.10%
3.71%
7.66%
6
BAYER MOTOREN WERKE AG
61.8
0.09%
3.62%
11.17%
7
BAYER AG
59.7
0.09%
3.49%
8.44%
8
ALLIANZ SE
44.8
0.07%
2.63%
4.51%
9
HENKEL AG & CO KGAA
44.1
0.07%
2.58%
10.37%
10
HOECHST AG
43.9
0.07%
2.57%
13.12%
Quelle: Hendrik Bessembinder u. a., September 2019.
Nur wenige sehr gute Aktien ziehen den Gesamtmarkt
Die besten 1 Prozent aller deutschen Aktien, das entspricht den höchstplatzierten 15 Unternehmen in der Rangliste, haben 54 Prozent vom Brutto- und 78 Prozent vom Netto-Vermögenszuwachs des Gesamtmarktes erwirtschaftet. In manchen anderen Ländern ist die Konzentration der Erträge noch höher, etwa in den USA, in Frankreich und Großbritannien, wo die Top-1-Prozent-Aktien rund 60 Prozent des Brutto-Vermögenszuwachses erzielten.
Dieses Muster zeigt sich in den meisten der 41 untersuchten Länder: Eine sehr kleine Anzahl von Superaktien treibt die Rendite des Gesamtmarktes, während die Mehrheit der Aktien Renditen liefert, die unter dem sicheren Zins liegen.
Demnach werden Portfolios, in denen die künftigen Champions nicht enthalten sind, unterdurchschnittlich abschneiden. Für Anleger bieten sich deswegen börsengehandelte Indexfonds (ETF) an, die den globalen Gesamtmarkt abdecken. Solche ETF, etwa auf den MSCI World, enthalten zwar sehr viele Loser, dafür aber eben auch die Shootingstars, die den Markt nach oben ziehen.
Auf der anderen Seite bietet die ungleiche Verteilung der Renditen sogenannten Stockpickern die Chance, sehr hohe Renditen zu erzielen, falls es ihnen gelingt, die Superaktien der Zukunft zu identifizieren. Der mangelnde Erfolg der meisten professionellen Aktienfondsmanager zeigt aber, dass dies nur sehr wenigen Investoren gelingt.
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Bleibt die Frage, warum deutsche Aktien im internationalen Vergleich so schlecht abschneiden und selbst Argentinien, das zahlreiche Wirtschafts- und Finanzkrisen durchstehen musste, mit besseren Zahlen aufwarten kann? Es drängt sich der Verdacht auf, dass sich in Deutschland vor allem wenig vielversprechende Unternehmen über die Börse finanzieren, während erstklassige Unternehmen in privater Hand bleiben und sich Geld über Bankkredite verschaffen. Das würde zumindest zum Teil die Diskrepanz zwischen der Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft und der sehr schwachen Entwicklung börsennotierter Aktiengesellschaften erklären.
Anleger hierzulande sind gut beraten, wenn sie ihre Vorliebe für deutsche Aktien aufgeben. Die Wahrscheinlichkeit, daneben zu greifen, ist überproportional hoch. Zudem verzichten Investoren, die vor allem auf deutsche Werte setzen, auf die nachgewiesenen Vorteile einer globalen Diversifikation. Die dauerhaft beste Wahl für die meisten Anleger ist weiterhin ein ETF-Portfolio, das aus mehreren Anlageklassen besteht.
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