Vor der jüngsten Finanz- und Staatsschuldenkrise war die Welt für Kapitalanleger noch weitgehend in Ordnung. Wer auf Nummer sicher gehen und gar keine Risiken eingehen wollte, konnte sein Geld beispielsweise in festverzinsliche Wertpapiere wie Bundesschatzbriefe und Bundesanleihen stecken. Anleger, die auf diese Papiere setzen, erhalten regelmäßige Zinszahlungen und am Ende der Laufzeit ihr Geld zurück.
Die Zinsen lagen meistens über der Inflationsrate, die den durchschnittlichen Anstieg der Lebenshaltungskosten misst. Die Anleger erhielten also einen Ausgleich für steigende Lebensmittelpreise, Energiekosten und Mieten. Und der über die Inflation hinausgehende Zins sorgte für einen stetigen Vermögenszuwachs. Mit Bundeswertpapieren konnten Anleger die Kaufkraft ihres Vermögens erhalten und es gleichzeitig vermehren.
Diese rosigen Zeiten sind schon lange vorbei. Seit Ausbruch der Krise befanden sich die Zinsen im Sturzflug. Inzwischen haben sie historische Tiefstände erreicht. Mit Bundeswertpapieren kommen Anleger schon lange nicht mehr auf einen grünen Zweig. Wer heute ein Höchstmaß an Sicherheit will, muss dafür bezahlen – mit einem schleichenden Verlust des Vermögens. Denn viele Bundeswertpapiere liefern nur noch eine negative Rendite. Bei den Anleihen, die noch geringe Erträge abwerfen, schlägt nach Abzug von Inflation und Abgeltungsteuer jährlich ebenfalls ein realer Verlust zu Buche.
Bei Bankeinlagen wie Tagesgeld und Festgeld, Sparbriefen und Sparbüchern sieht es ähnlich aus. Hinzu kommt, dass Banken und Sparkassen nicht mehr wie früher uneingeschränkt als Hort der Stabilität angesehen werden. Geldinstitute und mit ihnen ganze Staaten können in gefährliche Schieflagen geraten. Das hat die Krise gezeigt.
Wie dramatisch die Inflation den Geldwert schmälert, zeigt die folgende Grafik. Bei einer Teuerungsrate von 3 Prozent pro Jahr beispielsweise halbiert sich der Wert von Bargeld und unverzinstem Vermögen innerhalb von 24 Jahren. Beträgt die Inflation 5 Prozent, ist die Kaufkraft bereits nach 14 Jahren um die Hälfte gesunken.
Fahren Sie mit dem Cursor über die Grafik, um für verschiedene Zeiträume und Inflationsraten abzulesen, wieviel Ihr Geld noch Wert ist.
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Vorsichtige Anleger müssen umdenken
Schlechte Zeiten also für Geldanleger, die sich bisher vor allem auf festverzinsliche Anlagen konzentrierten und riskante Papiere wie Aktien mieden. Eine solche Anlagestrategie, die bis vor wenigen Jahren noch als vorsichtig galt, birgt nun die Gefahr des stetigen Kaufkraftverlustes.
Vorsichtige Geldanlage ist heute mehr denn je eine Frage der Erwartungen: Jemand, der etwa davon überzeugt ist, dass Papiergeld bald nichts mehr wert ist, verhält sich aus seinem persönlichen Blickwinkel vorsichtig, wenn er das Vermögen in Gold, Immobilien, Aktien und inflationsgeschützte Anleihen investiert. Aus der Perspektive eines anderen vorsichtigen Anlegers, der an den Fortbestand des internationalen Finanzsystems glaubt, kommt diese Strategie dagegen einem Besuch im Spielkasino gleich. Denn besonders Gold und Aktien, aber auch Immobilien sind riskante Anlagen.
Die meisten vorsichtigen Anleger dürften aber zumindest eines gemeinsam haben: Für sie steht der Erhalt des Ersparten an erster Stelle. Schmerzliche Verluste wollen sie vermeiden. Doch wie man dieses Ziel heute erreicht – daran scheiden sich die Geister. Extrem-Strategien, bei denen man sein ganzes Geld vielleicht aus Angst vor einer Finanzmarkt-Katastrophe in eine einzige Anlage steckt, sind keinesfalls das Gelbe vom Ei.
Im Gegenteil: Das Risiko, völlig danebenzuliegen, ist beträchtlich. Zu den goldenen Regeln für vorsichtige Geldanleger gehört, nie alles auf eine Karte setzen. Es ist sicherer, das Vermögen über verschiedene Anlagen zu verteilen, zu denen auch Aktien zählen. Denn ohne die Renditechancen, die sie bieten, ist ein Erhalt des Vermögens kaum noch möglich. Es erscheint merkwürdig: Aber es ist eine Folge der Krise, dass heute ausgerechnet vorsichtige Anleger kaum auf Aktien verzichten können.
Extrem-Risiken werden nicht mehr diskutiert
Wenn man sein Geld auf verschiedene Anlagen verteilt, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass immer einige von ihnen gut laufen, unabhängig davon, was an den Finanzmärkten passiert. Extrem-Strategien gehen dagegen meistens nur dann auf, wenn das erwartete Szenario, etwa der Zusammenbruch der Eurozone, auch eintritt.
Doch von solchen Risiken redet kaum noch jemand, seit der Chef der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, sich im Sommer 2012 dazu bekannte, alles ihm Mögliche zu tun, um den Euro zu erhalten. Die Unsicherheit an den Finanzmärkten ist deutlich zurückgegangen, an den Aktienbörsen sind die Anleger seit Jahren wieder in Kauflaune. Draghi will im Notfall unbegrenzt Anleihen von Euro-Krisenländern kaufen, um deren Kurse zu stützen. Diese Ankündigung hat die Investoren beruhigt, denn sie ist quasi eine Gratis-Risikoversicherung für Anleger.
Eine mögliche Stützung der Anleihekurse bedeutet eine Begrenzung der Verluste, die Anleger mit Anleihen schlimmstenfalls machen können. Gleichzeitig werden den Schuldenstaaten auf diese Weise tragbare Finanzierungskosten garantiert. Die gefürchtete Abwärtsspirale aus steigenden Zinsen und wachsenden Belastungen für die Staatshaushalte, die schließlich in die Pleite führen könnten, scheint durchbrochen. Schlechte Nachrichten aus den angeschlagenen Euro-Staaten werden an den Finanzmärkten mit Gelassenheit aufgenommen. Denn Staatspleiten und einen Zusammenbruch des Euro hält die Mehrheit der Investoren inzwischen für unwahrscheinlich. Die Debatte darüber ist jedenfalls verstummt. Auch das Ja der Briten zum Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union hat die Börsen nur kurz ins Wanken gebracht.
Die Angst vor Inflation
Schon zu Beginn der Finanzkrise hat die EZB die europäische Wirtschaft mit Geld überschwemmt. Sie senkte die Zinsen immer weiter, zu denen sich Geschäftsbanken bei ihr Geld leihen können, und stellt ihnen nahezu unbegrenzt Kredit zur Verfügung. Die andauernde Politik des billigen Geldes hat bei vielen Menschen die Furcht vor einer steigenden Inflation geschürt. Die Angst ist zwar verständlich. Doch eine Ausweitung des Zentralbankgeldes führt nicht zwangsläufig zu einer höheren Teuerungsrate. Das Geld muss auch unter die Leute gebracht werden. Aber das ist bisher nicht der Fall. Geschäftsbanken im Euroraum vergaben jahrelang tendenziell weniger Kredite an Unternehmen und private Haushalte als vor der Krise. Inzwischen steigt die Kreditnachfrage zwar wieder an. Aber nur auf einem verhaltenen Niveau.
Wo ist das Geld der EZB ?
Aber wo ist das Geld, mit dem die EZB die Banken überschüttet? Die Antwort auf diese Frage ist komplex. Vereinfacht gesagt sitzen Banken in sicheren Euroländern auf diesen vielen Milliarden und verleihen sie nicht weiter. Der Hintergrund: Normalerweise finanzieren sich Banken nur zu einem Teil über Notenbankkredite. Eine andere wichtige Finanzierungsquelle ist der sogenannte Geldmarkt, auf dem Banken überschüssiges Kapital an andere Banken verleihen, die gerade welches brauchen. Doch seit Ausbruch der Krise trauten sich die Geldinstitute untereinander nicht mehr über den Weg. Deutsche Banken zum Beispiel wollten Banken in Krisenländern nichts mehr leihen. Die EZB sprang in die Bresche, während die Banken mit Überschuss-Kapital ihr Geld einfach behielten und bei der EZB anlegten. Im Prinzip wurden lediglich Kredite zwischen Geschäftsbanken durch EZB-Kredite ersetzt. Mehr Geld in die Wirtschaft floss dadurch bisher nicht.
Kein Boom, keine Inflation
Wenn das Zentralbankgeld nicht bei Unternehmen und Haushalten ankommt, können diese es nicht ausgeben und so zusätzliche Nachfrage schaffen. Und wenn die Nachfrage nicht steigt, steigen auch die Verbraucherpreise nicht stärker an. Tatsächlich war die Inflation zeitweise sogar rückläufig. Die EZB fürchtete eine Deflation. Das war wenig erstaunlich, wenn man bedenkt, dass die Wirtschaftsleistung in vielen Euroländern schrumpfte. „Kein Boom, keine Inflation“, konstatiert Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman.
Mittlerweile ist die Wirtschaft in den meisten Euroländern wieder angesprungen. Doch selbst das muss nicht gleich zu stark steigenden Preisen führen. Solange die Produktionskapazitäten nicht ausgelastet sind, können die Unternehmen eine steigende Nachfrage befriedigen, ohne dass die Inflation anzieht.
Der Anstieg der Inflation Anfang 2017 im Euroraum ist vor allem auf den höheren Ölpreis zurückzuführen. Die Notierungen für den Rohstoff waren gestiegen, nachdem sich die führenden ölexportierenden Länder auf eine Begrenzung der Fördermenge geeinigt hatten.
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So funktioniert die „Enteignung der Sparer“
Manche Anleger fürchten, die Staaten könnten in die Trickkiste greifen und versuchen, die Inflation absichtlich anzuheizen, um sich über eine höhere Teuerung zu entschulden. Theoretisch ist das möglich. In der Praxis aber nicht so einfach umsetzbar.
Schulden kann man nicht einfach verschwinden lassen (wenn man sie nicht zurückzahlen kann oder will). Aber man kann sie relativieren, ohne dafür einen Cent aus der Staatskasse aufwenden zu müssen (wie das genau funktioniert, lesen Sie hier). Dafür ist letztlich nicht die Teuerungsrate entscheidend, sondern die Differenz zwischen Zinsen und Inflation, der sogenannte Realzins.
Vermögen verliert stetig an Wert, falls die Zinsen, die Anleger bekommen, niedriger sind als die Inflation. Ihren Kaufkraftverlust kann man ökonomisch auch als Umverteilung vom Geldanleger oder Kreditgeber zum Staat interpretieren, der dadurch nach und nach seine Schuldenquote senkt, ohne die Ausgaben senken zu müssen. Kritiker sprechen auch von einer „Enteignung der Sparer“.
Doch wie kann eine Regierung für eine solche Umverteilung sorgen? Entweder müsste die Inflation steigen, ohne dass der Zins zunimmt. Oder der Zins müsste sinken, während die Inflationsrate unverändert bleibt oder steigt.
Eine höhere Inflation mit Hilfe einer Geldschwemme können Staaten aber nicht so einfach erzwingen. Die Unabhängigkeit der EZB ist gesetzlich festgeschrieben, offiziell haben die Regierungen der EU-Mitgliedsländer keinen Einfluss auf die Geldpolitik. Zudem ist die EZB verpflichtet, für Preisstabilität zu sorgen. Die ist ihrer Ansicht nach bei einer Teuerungsrate von knapp unter 2 Prozent gegeben. Aber selbst mit einer Geldflut kann Inflation nicht auf Knopfdruck erzeugt werden (siehe oben).
Außerdem müsste sie überraschend kommen. Andernfalls würden Staatsanleihe-Investoren einen höheren Zins als Ausgleich für eine höhere Inflation verlangen. Nur über langlaufende Anleihen, deren Zinsen nicht schnell angepasst werden können, ließe sich dann die Schuldenquote drücken.
Vielversprechender für Regierungen erscheint da die andere Stellschraube: der Zins. Hier können Regierungen Einfluss nehmen – und machten es auch. In den USA legte die Regierung beispielsweise nach dem Zweiten Weltkrieg eine Zinsobergrenze fest, die unter der Wachstumsrate der Wirtschaft lag. Zwischen 1946 und 1962 schrumpfte die Schuldenquote von 120 auf 60 Prozent, ohne dass der Staat etwas von den Schulden tilgte. Wenn Staaten in die Märkte eingreifen, um die Zinsen zu drücken, sprechen Ökonomen von „finanzieller Repression“.
Am schnellsten wird eine Regierung ihre Schulden los, ohne einen Euro für Zinsen und Tilgung ausgeben zu müssen, wenn die Inflation höher als der Zins ist. Ökonomen sprechen dann von einem negativen Realzins (Realzins = Zins minus Inflationsrate).
Schleichender Vermögensverlust in sicheren Eurostaaten
In einigen sicheren Eurostaaten wie Deutschland oder den Niederlanden sanken die Zinsen, die Anleger für Staatsanleihen erhielten, ohne Eingriffe der Regierungen. Die Ursache ist eine besonders hohe Nachfrage nach risikolosen Anleihen im Zuge der Schuldenkrise. Weil einige Länder, die eine vorher uneingeschränkte Kreditwürdigkeit genossen hatten (wie Italien oder Spanien), in Zahlungsschwierigkeiten gerieten, sank auch das Angebot solcher risikoloser Papiere. Die Folge: Staaten, deren Anleihen als sicher gelten, konnten die Zinsen für ihre neuen Anleihen senken und fanden trotzdem genügend Käufer.
Daran hat sich seither nichts geändert. Die Rendite von Bundeswertpapieren mit Laufzeiten bis zu acht Jahren ist negativ. 10-jährige Bundesanleihen werfen zwar noch einen winzigen Ertrag ab. Doch nach Abzug von Inflation und Steuern ist auch ihre reale Verzinsung im roten Bereich.
Für vorsichtige Anleger dauert der Notstand demnach weiterhin an. Anleger können dem Zinstief und dem damit drohenden Wertverfall ihres Ersparten nur entgehen, wenn sie bei der Geldanlage auch auf riskantere Anlagen wie Aktien setzen, mit denen sich in der Vergangenheit auf lange Sicht Renditen oberhalb der Inflationsrate erwirtschaften ließen.
Wer weiterhin ausschließlich an Zinsanlagen festhält, muss mehr sparen als zuvor, um die gesteckten Vermögensziele zu erreichen.